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Studien zur Bearbeitung von Johann Sebastian Bachs Goldberg-Variationen BWV 988 durch Josef Gabriel Rheinberger und Max Reger

Schlüter, Ann-Helena

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SWD-Schlagwörter: Bach, Johann Sebastian , Rheinberger, Joseph *1839-1901* , Reger, Max *1873-1916* , Bearbeitung
BK - Klassifikation: 24.81
DDC-Sachgruppe: Musik
Dokumentart: Monographie
ISBN: 978-3-8428-1304-5
Sprache: Deutsch
Erstellungsjahr: 2011
Publikationsdatum: 03.03.2015
Kurzfassung auf Deutsch: Einleitung: Im Grunde ist Bach der Erfinder der musikalischen Zeit. In seinen Werken ist nichts zufällig. Es ist davon auszugehen, dass dieses Variationswerk, das nicht umsonst in G-Dur steht und bis heute seinesgleichen sucht, eine besondere und bedeutsame Stellung in der Klavierübung innehat: ihr Höhepunkt ist. Es ist eine Herausforderung, den großen Variationszyklus Goldberg-Variationen von Johann Sebastian Bach von zwei Manualen eines Cembalos auf zwei Klaviere zu übertragen, schließlich von einem Klavier auf zwei. Haben sich die Aria und der Zyklus für Liebhaber auf einem Flügel oder gar auf zwei Flügeln verändert? Von zwei Manualen auf zwei Klaviere wurde das große Variationswerk Bachs von Rheinberger umgeschrieben. Wie veränderten sich der Schwierigkeitsgrad und der Klang der Goldberg-Variationen auf zweimal 88 Tasten? Der grundsätzliche Unterschied im Bereich des Ausdrucks am Cembalo mit zwei Manualen, am Clavichord, am Flügel oder gar auf zwei Klavieren spielt bei Bachs Goldberg-Variationen eine erhebliche Rolle. Wie lässt sich ein Werk von 1740 heute, wie ließ es sich 1883 oder 1915 auf einem Klavier oder gar zwei interpretieren? Wie schrieb Rheinberger den großen Zyklus um? Wurden Rheinberger und Reger der Symbolik des Werkes als Archiv der Vergangenheit und der Zukunft gerecht? Wie sieht eine heutige Interpretation aus? Spielt dabei die Stellung des Variationszyklus innerhalb der Klavierübung eine Rolle? Die Komposition, auch die Bearbeitung eines Werkes hängen eng mit der sich vorgestellten Interpretation zusammen, mit dem inneren Hören und Verstehen. Nun waren sowohl Bach als auch Rheinberger und Reger nicht nur Komponisten, sondern auch hervorragende Tastenkünstler, Organisten und Pianisten. Auf einem heutigen Klavier unverschleiert das Cantabile der Sarabande, gleichzeitig den rhythmischen Charakter und die Auszierungen zu spielen, ist für jede Pianistin und jeden Pianisten eine Herausforderung. Einen neuen Klang zu entwickeln, wie ihn sich Bach zu seinen Lebzeiten selbst nicht hatte vorstellen, aber ersehnen können, oder wie er selbst seine Werke auf einem Flügel spielen würde, sind wichtige Überlegungen und ausschlaggebend für die Bearbeitung der Goldberg-Variationen. Die Bearbeitung Rheinbergers für zwei Klaviere ist daher ein neues Klangerlebnis. Keller schreibt, der Flügel mit seinem vollen Ton eigne sich nicht in gleicher Weise zur Wiedergabe der Verzierungen der alten Musik wie die alten Instrumente, es fehle ihm sowohl die Klarheit und Schärfe des Cembalos wie die Zartheit des Clavichords.. Jedoch die neuen Möglichkeiten, die der Flügel besitzt, den testamentarischen, zeugnishaften Symbolgehalten der Goldberg-Variationen gerecht zu werden und klanglich in eine neue Dimension zu rücken, dürfen nicht unterschätzt werden. Klang an sich ist ein Symbol. In ihm sind moralische und ästhetische Sinnfragen hörbar, auch in der absoluten Instrumentalmusik Bachs. Die Goldberg-Variationen werden bis heute frei bearbeitet, verjazzt, für andere Instrumente umgeschrieben, für Trio, Orchester, Duette. Es geht darum, zu versuchen, das Werk kreativ auf andere Instrumente oder Stile zu übertragen - nicht darum, das Werk erneut für das Klavier zu verbessern, zu verändern oder kritisch zu revidieren. Busoni war dabei eine Ausnahme, da er in seinen Bearbeitungen bereits einen neuen Stil kreierte. Jedoch die Goldberg-Variationen auf ein neu gestaltetes Finale hin zu verändern, zeigt, dass sowohl Busoni als auch Rheinberger und Reger das wirkliche Finale der Goldberg-Variationen nicht verstanden haben: die Wiederkehr der Aria, auf die das ganze Werk bezogen ist, anstatt das Quodlibet als eine Apotheose und Schlussstein ausarbeiten. Bachs Goldberg-Variationen sind ein Kompendium (oder Compendium), eine Sammlung kurzer, technisch anspruchsvoller Handstücke und Tänze, eine historische, akustische Bibliothek für das Ohr und das Auge zusammengefasst; der revolutionäre Johann Sebastian Bach sprengt hierbei jedes gewöhnliche Maß und revolutioniert. Das Übergreifen und Überkreuzen der Hände (in den Var. 5, 11, 14, 17, 20, 23, 26, 28 und 29), Verzierungen, Triller, Ostinati, Bild und Gegenbild, freie, virtuose Variationstypen, Rezitative, Gegenbewegungen, Achtelkontinuum, symmetrische Anlagen, Figuration, feinste Kontrapunktik, Polyphonie und Scheinpolyphonie finden sich hier ein und geben mehr als ein musikalisches, europäisches Bild aus dem 18. Jahrhundert. Die Goldberg-Variationen sind ein Kosmos, eine Landkarte, ein Leitfaden nach vorne, nach hinten, zur Seite, für Bachs Gesamtwerk, für seine Zeit, für die heutige Zeit und für die Zukunft. Wie haben Rheinberger und Reger diesen Kosmos aufgefasst und bearbeitet? Die Goldberg-Variationen sind allerdings auch eine erstaunliche Sammlung von Anti-Handstücken für einen Pianisten alleine, da das Interpretieren am Klavier statt zwei Manualen heute eine Odyssee von Arbeit herauf beschwört hat. Genau aus diesem Grunde schrieb Rheinberger das Werk auf zwei Klaviere um. Das Zusammenführen des italienischen Giguentypus, der französischen Ouvertüre, der deutschen Sarabande, Chaconne, Pastorale, Passacaglia, Passepied, Polonaise, Corrente, Fantasia -, all dies stellt ein historisches, akustisches Archiv der Erinnerungen und der Sinne dar. Es präsentiert die damalige architektonische, musikalische Kunst und ist ein Tresor sowohl für technische, als auch für Stilfragen. Diesen Herausforderungen stellte sich Rheinberger bei der Bearbeitung des Werkes. Der volle Klang des Flügels aber verbindet und schlägt Brücken. Dies wussten Rheinberger und auch Reger zu schätzen und zu nutzen. Bach besaß eine ironische Haltung gegenüber den Konventionen seiner Zeit; er war nicht deswegen gläubig, weil es damals zum guten Ton gehört. Dazu war er viel zu unkonventionell. Seine Musik besitzt humoristische Züge und scheint abzuwechseln zwischen Schönheit, Ernsthaftigkeit, Übermut, Spott und Zweideutigkeit. Bach ist ein moderner Künstler bis heute. Bachs Werke und die Goldberg-Variationen etablierten sich erst allmählich im Laufe des 19. Jahrhunderts und erregten nun auch die Aufmerksamkeit für Bearbeitungen. Josef Rheinberger griff 1880 als Erster in den Notentext des Variationszyklus ein, ergänzte Füllstimmen, Kontrapunktik und homophone Sätze, um das Werk für zwei Flügel klanglich weit zu machen. Der am 17. März 1839 in Vaduz, Liechtenstein, geborene Komponist und Organist der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Josef Gabriel Rheinberger, gestorben 1901 in München, wird heute oft als deutscher Musiker bezeichnet, da er bereits mit 12 Jahren nach München für sein Studium am Konservatorium übergesiedelt war und dort bis zu seinem Lebensende blieb. Rheinberger unterrichtete dort bis kurz vor seinem Tod Komposition. Er genoss zu seiner Zeit einen bedeutenden, internationalen Ruf als Kompositionslehrer und Repräsentant für die Kultur einer zu Ende gehenden Epoche. Er lebte im Klima des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Josef Rheinberger war Leiter des Münchner Oratorienvereins und Solorepetitor am Münchner Nationaltheater bis 1867. Allerdings musste er sich gut eingebunden haben, nachdem er über 40 Jahre lang am selben Ort unterrichtet hatte. Er hielt sich zurück im Streit zwischen Pro- und Anti-Wagnerianern und gewann die Sympathie von Johannes Brahms, dessen musikalischen Einfluss man in Rheinbergers Musik hören kann, zum Beispiel in Träumen op. 9 Nr. 4, aber auch in der Bearbeitung Bachs Goldberg-Variationen (s. Var. 18, 22, 23 und 29). Auch Wagner hatte musikalisch deutliche Spuren bei ihm hinterlassen, wie seine am 23. Mai 1869 erfolgreich in München aufgeführte Oper Die sieben Raben op. 20 deutlich zeigt. Rheinbergers Frau Fanny von Hoffnaaß aber sprach ihre Abneigung gegen Wagner laut aus. Der Katholik wurde mit vielen Ehrungen ausgezeichnet. Zu seinem umfangreichen Repertoire an Kompositionen für Chor, Orgel, Kammermusik, Klavier und Orchester gehören auch Bearbeitungen. Neben Orgelwerken und Chorgesängen schrieb Rheinberger Bearbeitungen von Variationen und Sonaten von Mozart und die Bearbeitung Bachs Goldberg-Variationen, 1883 für zwei Klaviere. Rheinberger griff stark und doch dezent und pietätvoll in den Notentext ein in einer Selbstverständlichkeit als studierter Musiker, die heute teilweise unvorstellbar ist. Die Goldberg-Variationen wurden damals noch nicht erkannt als Wurzel und Grundlage der Variationskunst. Es gelang Rheinberger ein Meisterwerk in dieser seiner Bearbeitung für zwei Klaviere. Sein Respekt für Bachs Musik bewahrte ihn vor eitlen Zusätzen. Seine Bearbeitung der Goldberg-Variationen wurde erst 2009 durch die CD-Einspielung des Interpretenduos Yaara Tal und Andreas Groethuysen einem größeren Publikum bekannt. Damit wurde auch das Werk Bachs wieder gehört, was genau Rheinbergers Anliegen war. Das einzige Werk, das Rheinberger selbst für Klavierduo schrieb, ist sein Klavierduo-Werk opus 15 in a-Moll für zwei Klaviere vom Januar 1868. Max Reger (1873 - 1916) bearbeitete 1913 wiederum die Fassung von Rheinberger; griff hauptsächlich in Dynamik, Phrasierung und Artikulation ein. Reger, geboren in der Oberpfalz, von Hugo Riemann am Konservatorium Wiesbaden in Musiktheorie unterrichtet, war ein äußerst geistesgegenwärtiger, produktiver, sensibler und fleißiger Komponist, konzertierender Pianist und Dirigent. Reger trat 1905 die Nachfolge Rheinbergers am Konservatorium in München an, jedoch gab die Stelle nach einem Jahr wieder auf. Als suchender, aktiver Künstler und im Charakter das ganze Gegenteil von Rheinberger, wollte Reger die festgefahrenen Dinge im Haus ändern, was dem konservativen Lehrkörper nicht gefiel. Reger fühlte sich offenbar nicht berufen, ein Leben lang in München zu bleiben. Bereits zwei Jahre später erhielt er eine Professur in Leipzig, die er beibehielt, den Posten des Musikdirektors aber nach einem Jahr ebenfalls wieder aufgab. Während und neben seiner musikpädagogischen Arbeit in den Lehrveranstaltungen gab er sein intensives Konzertieren und Komponieren niemals auf, was ihn kräftemäßig langsam überforderte. Die Reisen waren damals sehr beschwerlich. Reger, der schon einige psychische Zusammenbrüche in jungen Jahren erlebt hatte, erlag 1916 letztendlich einem Herzversagen. Große sichtbare Durchbrüche in seinem Leben sind ihm erst im letzten Lebensjahrzehnt gegönnt gewesen. Obwohl er wegen seiner Heirat der geschiedenen Elsa von Bercken aus der Kirche ausgeschlossen worden war, schrieb er viel geistliche Musik. Regers Revision Rheinbergers der Goldberg-Variationen gehört durchaus nicht zu seinen bekannten Werken und wird oft nicht einmal erwähnt. Er hatte Rheinbergers Fassung lange nach seiner niedergelegten Nachfolge Rheinbergers revidiert, drei Jahre vor seinem Tod. Inwiefern die erste Bearbeitung von Josef Rheinberger und dessen Revision durch Max Reger nötig, sinnvoll und hilfreich war, wird sich im Folgenden herausstellen. Die Rheinbergersche Fassung mit der Revision Regers zeigt in Dynamik, Kontrapunktik, Klang und Artikulation ein großes Wissen und Verständnis von Bachs Klangwillen, Tonsprache und Satzstruktur. Max Reger hatte im Komponieren von Bearbeitungen, speziell für Klavierduo, mehr Erfahrung als Rheinberger; seine Revision war demnach kritischer Natur. Dennoch war Reger aufrichtig begeistert über die Rheinbergersche Fassung, die er erst Jahre nach dessen Tod kennenlernte durch seinen Duopartner und Freund, den Pianisten und Professor August Schmid-Lindner. In Regers einschneidenden Veränderungen der Bearbeitung Rheinbergers in Phrasierung und Artikulation ist vor allem die Phrasierungslehre seines Lehrers, des Musikwissenschaftlers Hugo Riemann (1849 - 1919) deutlich herauszuhören. Letztendlich ist bei jeder Bearbeitung entscheidend, ob die musikalische Beziehung zur Aria, die auf dem Bassthema liegt, gegeben ist und durch das Werk trägt bis zur Wiederkehr der Aria. Erst dann sind die Goldberg-Variationen im Sinne Bachs verstanden worden. Da weder Rheinberger noch Reger eine Wiederkehr der Aria vor Augen und im Ohr hatten, als sie das Werk bearbeiteten, ist schon zu Beginn und vor allem im Variationsweg, im von Bach gewollten Ringen um und im bewussten Entfremden von‘ der Aria, die entscheidende Prämisse verloren gegangen. Dazu kommt, dass Rheinberger den Zyklus als ein für sich stehendes Einzelwerk ansah anstatt eingeplant und eingebunden in einen großen Zusammenhang. Der aus der Klavierübung gerissene vierte Teil, nicht nur für ein Konzert, sondern für eine feststehende Bearbeitung, schwankt für sich genommen orientierungsloser, sonst kurz vor dem fünften Teil stehend, dem Höhepunkt polyphoner Kompositionskunst, der Kunst der Fuge. Die über hundert Einheiten im Zyklus Bachs verlieren ihren Rahmen, wenn es um pianistische und satztechnische Floskeln und Virtuositäten geht, die aus dem Kontext der Bedeutung des Formwillen Bachs herausgenommen sind. Dabei ist nicht wichtig, um was für Floskeln es sich handelt, aus welcher Zeit und Epoche. Rheinberger und Reger nahmen das Werk in ihrer Bearbeitung aus seiner Bedeutung, Identität und Stellung, als vierten Teil und Höhepunkt der Klavierübung.Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis: 1.Vorwort7 2.Einleitung14 3.Die Goldberg-Variationen BWV 988 von Johann Sebastian Bach (1740)20 4.Josef Gabriel Rheinbergers Bearbeitung der Goldberg-Variationen für zwei Klaviere, (1883)30 4.1Erste Hälfte37 4.1.1Aria37 4.1.2Variation 146 4.1.3Variation 251 4.1.4Variation 355 4.1.5Variation 458 4.1.6Variation 559 4.1.7Variation 662 4.1.8Variation 764 4.1.9Variation 868 4.1.10Variation 971 4.1.11Variation 1072 4.1.12Variation 1174 4.1.13Variation 1276 4.1.14Variation 1378 4.1.15Variation 1481 4.1.16Variation 1585 4.2Zweite Hälfte87 4.2.1Variation 1687 4.2.2Variation 1790 4.2.3Variation 1891 4.2.4Variation 1994 4.2.5Variation 2095 4.2.6Variation 2199 4.2.7Variation 22101 4.2.8Variation 23105 4.2.9Variation 24109 4.2.10Variation 25113 4.2.11Variation 26119 4.2.12Variation 27123 4.2.13Variation 28125 4.2.14Variation 29132 4.2.15Variation 30137 4.3Dynamische Entwicklung in Rheinbergers Bearbeitung144 4.4Erweiterte Polyphonie, Klavier-, Hand- und Stimmverteilung Rheinbergers in den neun Kanons, den zwei fugenähnlichen Variationen und im gesamten Zyklus150 5.Die revidierte Fassung der Rheinbergerschen Bearbeitung der Goldberg-Variationen von Max Reger(1915)172 6.Abschließende Betrachtung185 7.Literaturverzeichnis189Textprobe:Textprobe: Kapitel 4, Josef Gabriel Rheinbergers Bearbeitung der Goldberg-Variationen für zwei Klaviere (1883): Die Goldberg-Variationen sind ein symbolisches Archiv, ein Kosmos, eine Navigation für Bachs Gesamtwerk. Dieses Archiv weist nach vorne, nach hinten und zur Seite. Sie weist weit in die Zukunft. Sie ist eine Landkarte und eine Verzweigung nationaler und europäischer Bezugsstücke, Tänze und Kanons, ein Geschichts- und Tagebuch für die Sinne und das Gemüt. Der Bachsche Kontrapunkt war für Josef Gabriel Rheinberger (1839 - 1901) eine wichtige Bezugsgröße. 1899 schrieb einer seiner Schüler: Bach und Mozart sind seine Lieblinge, und bei der Besprechung ihrer Werke geräth der sonst in den Unterrichtsstunden kühle Mann in förmlichen Enthusiasmus und preist in den wärmsten Worten ihre Vorzüge. Der bekannte liechtensteinischer Komponist und Musikpädagoge Rheinberger, der in Liechtenstein heute als Jahrhunderttalent gilt und einen hervorragenden Ruf genießt, war der erste Komponist, der die Goldberg-Variationen von Bach bearbeitete. Diese Bearbeitung trägt keine Opuszahl. Rheinberger ist bis heute der einzige, der Bachs Variationswerk für zwei Flügel bearbeitet hat: von ursprünglich zwei Manualen auf zwei Flügel. Er griff dabei mit Respekt und Können in das große musikalische Erbe ein, in das in seiner Zeit eben aus der Vergessenheit hervorgeholte Bachwerk. Rheinberger schrieb unter anderem große Orgelwerke, besonders Orgelsonaten, Chormusik, Kammermusik, Klaviermusik, Messen, Motetten, Oratorien, Opern, Symphonien und Choräle, die teilweise bis heute aufgeführt werden. Seine Musik wurde von Brahms, Bruckner und Wagner geprägt, aber er stand vor allem auch fest in der Tradition der Klassik und der Frühromantik. An seinen Kompositionen ist deutlich zu erkennen, dass er ein hervorragend ausgebildeter Organist war. 197 Werke mit Opuszahl sind von ihm bekannt, noch einmal so viele ohne Opuszahl. Die deutschen Musikwissenschaftler und Komponisten Hans Joachim Moser und Adolf Sandberger schrieben unter anderem über Rheinberger, dass er einen wichtigen Beitrag zur Münchner Nachromantik und zur vielfältigen Musikkultur zwischen Lachner und Strauß geleistet und zur Verlängerung des klassisch-romantischen Zeitraumes erfolgreich beigetragen hat. Josef Gabriel Rheinberger wuchs mit acht Geschwisterkindern in großer, wirtschaftlicher Not in Vaduz auf, sein Vater, Johann Peter Rheinberger (1789 - 1874), war Finanzverwalter. Seine Mutter, Maria Elisabeth Carigiet (1801 - 1873), stammte aus Graubünden. Wahrscheinlich galt Josef Gabriel, Peppe genannt, in seiner Kindheit als musikalisches Wunderkind, wie auch später der Komponist Erich Wolfgang Korngold. Rheinberger und zwei seiner Schwestern erhielten den ersten Musikunterricht bei dem Organisten Sebastian Pöhly (1808 - 1889). In der Vaduzer Florins-Kapelle spielte Josef Rheinberger als Siebenjähriger Orgel. Zehnjährig wurde er im Harmonielehre-Unterricht bei dem Organisten Philipp Schmutzer (1821 - 1898) und später am Hauserschen Konservatorium in München weitergebildet. Der Kontrapunktunterricht des Bach-Anhängers Joseph Maier (1821 - 1889), der später in der königlichen Staatsbibliothek Herausgeber des ersten Handschriftenkatalogs wurde, prägte Rheinberger besonders, bevor er Klavierunterricht bei Christian Wanner und Orgelunterricht bei Georg Herzog erhielt. In München führte er zwölfjährig seine erste Messe auf, die vierstimmige Messe in Es-Dur. Die enge Freundschaft mit dem Musikwissenschaftler Emil von Schafhäutl (1803 - 1890) bis zu dessen Lebensende ermöglichte Rheinberger jährliche finanzielle Unterstützungen für sein Studium bei Franz Lachner, während er seine Abschlussprüfungen am Konservatorium erfolgreich abschloss und fest an drei verschiedenen großen Kirchen in München als Organist spielte. Sechzehnjährig wurde er Hoforganist in St Cajetan und in St Michael und unterrichtete am Konservatorium in München erst Klavier, dann Komposition bis zu seinem Lebensende. Er war ein erfolgreicher und geschätzter Pädagoge. Zu seinen Schülern zählten Engelbert Humperdinck, Adolf Sandberger, Max Planck und Wilhelm Furtwängler. Nach der Hochzeit Rheinbergers mit der Dichterin Franziska von Hoffnaaß, geborene Jägerhuber (1831 - 1892), acht Jahre älter als er, verbrachte das kinderlose Paar seine freie Zeit in Liechtenstein. Fanny, sprachbegabt, lyrisch und sehr klug, half ihrem Mann bei dessen Korrespondenz, übersetzte Briefe und versorgte ihn mit poetischen Texten für seine Werke. Am Höhepunkt seiner Karriere angelangt war Rheinberger im Oktober 1874: Auf Vorschlag von Hans von Bülow hin wurde er zum artistischen Direktor, Professor und Inspektor der Königlichen Musikschule ernannt und zusätzlich von König Ludwig II. zum Hofkapellmeister. Josef Rheinberger wurde damit zu einer zentralen öffentlichen Figur für katholische Kirchenmusik in Deutschland. Am Ende seiner Laufbahn erhielt er viele Ehrungen: Ritterkreuze einiger großer Orden, persönlichen Adel, Förderung seiner Werke durch Richard Strauß und den Ehrendoktor der Philosophischen Fakultät München. Doch Rheinberger litt auch unter einer anschwellenden Knochenfontanelle an der rechten Hand. Die Operation führte dazu, dass er nicht mehr Klavier spielen konnte, was ihn sehr bedrückte. Seine Frau wurde bald darauf schwerkrank und verstarb. Rheinberger legte kurze Zeit später sein Amt als Leiter der Hofkirche nieder. Er starb am 28. November 1901 und wurde drei Tage nach seinem Tod auf dem Münchner Südfriedhof begraben. Während des zweiten Weltkrieges wurde das Grab zerstört, worauf 1949 das Fürstentum Liechtenstein seine Gebeine in einem Ehrengrab in der Nähe seines Geburtshauses feierlich begrub. Jahrelanges Vergessen setzte nach Rheinbergers Tod ein, obwohl er zu seinen Lebzeiten ein erfolgreicher Komponist gewesen war. Allmählich tritt er wieder in das Bewusstsein der Musikpraxis und der Musikforschung. Rheinbergers Bearbeitung der Goldberg-Variationen wurde durch die Einspielung des Münchner Interpretenduos Yaara Tal und Andreas Groethuysen 2009 bekannt, wobei es Rheinberger selbst hauptsächlich darum ging, das Variations-Werk bekannt zu machen. Die Goldberg-Variationen erscheinen durch Rheinbergers Umgestaltung in einem anderen Licht, in einem Klang, der orchestraler, farbiger, fülliger und räumlicher ist, deutlich in die Zeit Brahms hineingehörend, voluminöser, in Verzierungen konkret und neutraler gehalten. Die kontrapunktische Faktur wird plastischer durch die Aufteilung auf zwei Klaviere. Dennoch hat sich Rheinberger in Respekt vor Bach in seiner Bearbeitung 1883 trotz seiner tief greifenden Eingriffe im Gesamtbild vorsichtig und zurückhaltend gezeigt. Nichts ist geschmacklos, übertrieben, dick oder maßlos notiert. Es ging Rheinberger offensichtlich nicht um sich selbst, sondern darum, das Variationswerk Bachs in Erinnerung zurückzurufen. Ziel Rheinbergers war es nicht, eine zusätzliche Polyphonie zu schaffen und Bachs Kontrapunktik auf einen weiteren Flügel auszuweiten, um gar mit Bach zu konkurrieren. Er unterstützte im Gegenteil die Satzstruktur, die Tonsprache und die Absichten Bachs und setzte diese in ein neues Klangbild auf zwei Klavieren um. So ist seine Bearbeitung nicht eine kritische Revision Bachs, so wie Max Reger die Rheinbergersche Fassung kritisch revidierte.


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epub2 - Letzte Änderung: 19.02.2024